WOHN-VISIONEN: Tiny Houses
Die gemeinsam vom Transferprojekt IMPACT RheinMain und dem Fachbereich Sozialwesen der Hochschule RheinMain (HSRM) initiierte Veranstaltungsreihe WOHN-VISIONEN diskutierte in der vierten Ausgabe am Dienstag, 19. Mai 2020, wieder die Frage, wie wir in Zukunft leben werden. Thema waren diesmal die sogenannten Tiny Houses oder Kleinsthäuser, die aktuell einen Boom erfahren und als mögliche Wohnalternative der Zukunft gehandelt werden. Aufgrund der aktuellen Situation wurde die Veranstaltung als Onlinemeeting durchgeführt, das von mehr als 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmern verfolgt wurde.
Interdisziplinäre Perspektiven
Diese Dialogveranstaltung hat Einblicke verschiedener Disziplinen zusammengeführt und Ergebnisse der letzten Semester aus der Lehre von verschiedenen Fachbereichen der Hochschule zum gemeinsamen Thema Tiny House einbezogen. Der Bogen wurde von der tatsächlichen Konstruktion und Produktentwicklung über den Entwurf neuer Formen von Tiny Houses bis hin zur ökonomischen Reflexion gespannt und durch die Sicht einer externen Ethnologin ergänzt. Leitfrage aller Vorträge war dabei, ob Tiny Houses eine mögliche Antwort auf Herausforderungen wie globales Bevölkerungswachstum und zunehmende Urbanisierung sind.
Von der Idee zum Projekt
Als erster Referent stellte Thomas Timm, Student der Interdisziplinären Ingenieurwissenschaften an der Hochschule RheinMain, sein Projekt zur Entwicklung und zum Bau eines Tiny Houses vor. Das gemeinsam mit Konstanze Anspach, Professorin für Konstruktion und Produktentwicklung an der HSRM, entwickelte Projekt in der Lehre zielt darauf ab, Studierenden fachbereichsübergreifend eine Plattform zu bieten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. So können perspektivisch etwa auch Studentinnen und Studenten des Studiengangs Innenarchitektur, Ideen zum Projekt beisteuern und am Innenausbau des Tiny Houses mitwirken, das aktuell auf dem Campus in Rüsselsheim steht.
Less is beautiful
Andreas Fuchs, Professor für Baustofflehre, Baukonstruktion und Entwerfen an der HSRM, beleuchtete als zweiter Referent das Thema aus architektonischer Perspektive. Aus dieser Sichtweise sind Tiny Houses vor allem in speziellen Anwendungskontexten einsetzbar, etwa als Notunterkünfte für Bergsteiger im Hochgebirge oder sichere Übernachtungsmöglichkeit für Obdachlose. Vor dem Hintergrund eines enormen Problemdrucks, durch den wachsenden Platzbedarf pro Kopf, das globale Bevölkerungswachstum sowie die zunehmende Urbanisierung, ist eine Nachverdichtung des Wohnraums in Großstädten unvermeidbar. Eine mögliche Lösung dafür sind modular gefertigte Einheiten, die flexibel kombiniert und genutzt werden können. Hierzu entwickelten Studierende an der HSRM ein Konzept, das hexagonale Elemente nutzt, die aus Wellpappe als Baumaterial gefertigt werden und sich auch gut in Bahnhöfen realisieren lassen könnte.
Tiny Houses als Markt der Zukunft?
Als Immobilienökonom betrachtete Stefan Blümm, Professor für Projektentwicklung und Projektmanagement an der HSRM, die Marktchancen von Tiny Houses als Produkt am Immobilienmarkt. Seine Studierenden habe hierzu bereits Bachelorarbeiten verfasst. Insbesondere der Aspekt der Individualität bietet ein hohes Potenzial, da sich Tiny Houses sehr einfach an die eigenen Vorstellungen anpassen lassen. Diese Individualität bringt andererseits aber auch eine Vielzahl an Herausforderungen mit sich, etwa hinsichtlich Bauplanungsrecht sowie technischen oder betrieblichen Besonderheiten. Neben den fehlenden rechtlichen Vorgaben spielen hier auch solche Aspekte eine Rolle, dass es bislang keine verbindliche Definition für den Begriff Tiny House gibt und die Genehmigungsverfahren entsprechend kompliziert sind. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind neben dem hohen Quadratmeterpreis auch die hohen Lebenszykluskosten problematisch. Kritisch zu sehen ist auch der hohe Flächenverbrauch durch die fehlende Nutzung des vertikalen Raumes. Somit sind Tiny Houses als Produkt am Immobilienmarkt in erster Linie für Menschen interessant, die eine temporäre Unterkunft außerhalb der Innenstädte suchen.
Potenziale für das Soziale
Als letzte Referentin des Abends berichtete Kiane Wennermann, Masterstudentin der Europäischen Ethnologie an der Humboldt-Universität Berlin, von ihren Erfahrungen als Bewohnerin eines Tiny Houses und stellte ihre Forschung zum Thema vor. In dieser untersucht sie aus design-anthropologischer Sicht, inwiefern die Tiny House-Bewegung eine Möglichkeit zur Neugestaltung des städtischen Raumes bietet. Wichtige Elemente sind hierbei etwa solche Aspekte wie Urban Gardening, Sharing (z. B. Bücherboxen) oder die Aneignung ungenutzter städtischer Räume für soziale Zwecke. Eines der Hauptziele der Tiny-House-Bewegung ist somit aus ihrer Sicht die Hoffnung auf ein nachhaltiges und soziales Leben in Gemeinschaft.
Kreativität als wichtigster Aspekt
Zum Abschluss der Veranstaltung ergab eine Umfrage unter den Teilnehmenden, dass fast gleich viele Befragte sich ein permanentes Wohnen im Tiny House vorstellen könnten und andere wiederum nur für kürzere Zeit als Zwischenlösung, wie für einen Urlaub. Das größte Potenzial beim Thema Tiny House wird von den Teilnehmenden in der „Kreativität“ gesehen gefolgt von den Aspekten Entlastung des Wohnungsmarktes und Nachhaltigkeit. Gemeinschaft und politisches Engagement spielen im Interesse eine geringe Rolle.
Videos von der virtuellen Veranstaltung finden Sie hier.
Die Reihe WOHN-VISIONEN wird am 19. Juni fortgesetzt. Unter dem Motto „wer wagt beginnt“ wird der gleichnamige Dokumentarfilm über ein Bauvorhaben einer Wohnbaugenossenschaft als Livestream gezeigt. Im Anschluss steht die Filmemacherin sowie ein Vertreter oder eine Vertreterin der Stadt Wiesbaden und einer regionalen Wohninitiative im moderierten Talk dem Publikum für Fragen zur Verfügung. Anmeldung unter www.hs-rm.de/wohn-visionen.