Bildungsbarrieren und Bildungsaufstieg: (Geschichten) von Scham, Beschämung und symbolischer Klassengewalt
Gemeinsam mit dem preisgekrönten Lyriker und Romanautor Dinçer Güçyeter, seit August 2024 Stadtschreiber von Bergen, Frankfurt am Main, diskutierten am Montag, 02.12.2024 Studierende des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit die Frage, ob Literatur zu einer Erkenntnisquelle eigener Art für die Soziale Arbeit werden kann: Lassen sich mittels literarischer Texte die sozialtheoretischen Erklärungsansätze zu Bildungsbenachteiligungen und den Bedingungen des Bildungsaufstiegs kritisch überdenken und um eine subjektiv-biographische Perspektive ergänzen?
Dinçer Güçyeter las zunächst zwei frühe Gedichte und danach einige Passagen aus seinem autofiktionalen Debütroman „Unser Deutschlandmärchen“, eine vielstimmige, generationenübergreifende Einwanderungsgeschichte, für die er 2023 mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet wurde.
Im anschließenden Gespräch berichtete er von den Sehnsüchten und Erwartungen seiner Eltern, die in den 1960er Jahren aus der Türkei nach Deutschland kamen und den Barrieren, die er auf seinem Weg zum Theatermacher, erfolgreichen Verlagsgründer und Autor überwinden musste. Wichtig war Dinçer Güçyeter aber auch zu betonen, wie er durch die Erzählungen in der Familie, seine literarische Lektüre und das Schreiben von Gedichten zu einer eigenen Sprache fand und wie die Kunst für ihn zur „Barrikade“ wurde - eine Form des Widerstands angesichts von sozialen Platzanweisungen in einem hierarchischen Kulturbetrieb.
Auf die Frage, wie Sozialarbeitende ihren Adressat:innen neue Erfahrungs- und Ausdrucksmöglichkeiten durch Literatur eröffnen könnten, schlug Dinçer Güçyeter vor, die Räume, in denen das Erleben von und der Austausch über Theater und Literatur stattfinden kann, niedrigschwelliger zu gestalten, so dass sie mehr Menschen ansprechen und zum Dialog einladen.
Die Veranstaltung fand im Rahmen des Moduls „Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Konflikte. Formen, Ursachen und Auswirkungen von Diskriminierung“ im Studiengang Soziale Arbeit (B.A.) statt und wurde von Prof. Dr. Regina-Maria Dackweiler und Prof. Dr. Catrin Dingler vom Fachbereich Sozialwesen der Hochschule RheinMain gemeinsam organisiert.