Geschlechterdimensionen in der Überschuldungsforschung – Leerstellen und Perspektiven
Unter dieser Überschrift diskutierten am 28. und 29. Oktober 2024 Wissenschaftler:innen aus der Armuts- und Überschuldungsforschung, dem Sozialrecht und den Wirtschaftswissenschaften unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Kerstin Herzog der Hochschule RheinMain, Fachbereich Sozialwesen mit ausgewählten Expert:innen aus der Praxis. Die Veranstaltung fand auf Einladung der Daimler und Benz Stiftung als Austauschformat des Ladenburger Diskurses statt.
Das Thema privater Überschuldung hat durch die Krisen der letzten Jahre deutlich an öffentlicher Aufmerksamkeit und lebenspraktischer Bedeutung gewonnen. Finanzielle Herausforderungen betreffen nicht alle Verbraucher:innen gleichermaßen, dennoch steigen die Risiken von Zahlungsschwierigkeiten auch für Haushalte, die bisher nicht damit konfrontiert waren. Übergänge von wirtschaftlich geplanter Verschuldung hin zur ungeplanten Überschuldung sind kein rein ökonomisches Phänomen, sondern verbinden sich mit weiteren psychischen und sozialen Belastungen. Die Überschuldungsforschung basiert insofern auf multi- und interdisziplinären Zugängen. Der Ladenburger Diskurs beschäftigte sich mit der Frage nach der Bedeutung von Geschlecht und Gender auf eine solche multiperspektivische Betrachtung.
Der Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Susanne Schlabs (Ostfalia Hochschule) nahm die Schuldnerberatung als Teil der Sozialen Arbeit in den Blick und beleuchtete Genderaspekte in Beratung, finanzieller Bildung und Forschung. Sie schlug eine Differenzierung von Ursachen und Lösungen auf verschiedenen Ebenen vor. Wichtige Faktoren wie Einkommensarmut und ungleiche Arbeitsmarktbedingungen für Frauen wurden hervorgehoben, ebenso wie die besonderen Risiken für alleinerziehende Frauen. Die Diskussion zeigte unterschiedliche Bewältigungsstrategien und den Einfluss gesellschaftlicher Rollenerwartungen auf. Für die Praxis wurden geschlechtersensible Konzepte gefordert und darauf verwiesen, dass auch non-binäre Perspektiven bisher zu kurz kommen.
Frau Prof. Dr. Regina-Maria Dackweiler der Hochschule RheinMain, Fachbereich Sozialwesen, referierte über den Zusammenhang von Armut, Partnerschaftsgewalt und Überschuldung. Sie betonte die Studienlage, welche zeigt, dass Partnerschaftsgewalt in allen Gesellschaftsschichten präsent ist und neben gesundheitlichen und psychischen Folgen ebenso erhebliche ökonomische Folgen hat. In diesem Kontext entspann sich eine Diskussion um die Bedeutung von Scham: Personen, die von Partnerschaftsgewalt betroffen sind, äußern regelmäßig, wie belastend und hemmend das Schamerleben sei. Ähnliches gilt für Armutsbetroffene und Überschuldete, die die Erfahrung, auf andere angewiesen zu sein und sich als hilfsbedürftig zu erleben, mit Scham verbinden. Scham stelle die Person und ihre Identität infrage, sie fühle sich unwürdig und oftmals führe diese zur Nicht-Inanspruchnahme von Sozialen Dienstleistungen und anderen Unterstützungsangeboten. Im Kontext von Armut, Partnerschaftsgewalt und Überschuldung sei Scham zudem eng mit Angst vor noch mehr Gewalt, Armut und Bedrohung der Existenz verbunden. Dackweiler plädierte für ein vernetztes Hilfesystem, um Eskalationen zu vermeiden.
Die Tagungsteilnehmer:innen diskutierten zukünftige Strategien, darunter die Weiterentwicklung statistischer Erhebungen zu intersektionalen und geschlechterspezifischen Zusammenhängen sowie die Integration von Erkenntnissen aus der Ungleichheits- und Geschlechterforschung in Beratungs- und Bildungsangebote. Zielgruppengerechte Aufklärungsarbeit in sozialen Medien und die Anpassung von Fort- und Weiterbildungsangeboten für Fachkräfte seien zudem notwendig.