Mehr Demokratie für mehr Demokratie

Prof. Dr. Dr. Maximilian Pichl und Prof. Dr. Arzu Çiçek vom Fachbereich Sozialwesen der HSRM während ihres Vortrags. © Hochschulkommunikation | Hochschule RheinMain

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Um nicht weniger als die demokratische Gesellschaft ging es gestern Abend im zweiten Teil der „Ringvorlesung Demokratie“ des Wiesbadener Netzwerks der Wissenschaft im Rathaus der Landeshauptstadt. Diese erlebe einen Backlash, so Prof. Dr. Dr. Maximilian Pichl mit Blick auf Wahlergebnisse in Deutschland und anderswo. Neben der „Polykrise in der EU“ hätten gleichzeitig über 70 Prozent der Menschen im Land das Gefühl, nicht mehr mitgestalten zu können. Diese Teilhabeverdrossenheit sowie permanente Herausforderungen zusammen mit der nach Adorno „unvollendeten Demokratie“ führe zum Rechtsruck in der Gesellschaft. „Man darf aber nicht die Debatten und Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre vergessen“, so Prof. Dr. Arzu Çiçek, „diese haben die Demokratisierung vorangetrieben.“ Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit zeige auch: Es gibt Widerstandspotenzial in der Gesellschaft, Millionen Menschen gingen Anfang des Jahres gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck auf die Straße.

Çiçek und Pichl, beide vom Fachbereich Sozialwesen der Hochschule RheinMain (HSRM), erweiterten in ihrem dialogischen Vortrag den Demokratiebegriff hin zum Gesellschaftsprinzip jenseits der Staatsform. „Demokratie entsteht durch soziale Interaktion in öffentlichen Räumen“, zitierte Pichl Jane Adams, eine Pionierin der Sozialen Arbeit, die Ende des 19. Jahrhunderts Missstände in der amerikanischen Gesellschaft dokumentierte und anprangerte.

Ambivalente Rolle der Sozialen Arbeit

Heute habe die Soziale Arbeit – und hier waren die Professor:innen bei der Verbindung ihrer Lehre und Forschung in die Praxis – das Ziel, die soziale Teilhabe der Menschen zu verbessern. Beide sehen jedoch auch eine ambivalente Rolle ihrer Disziplin. „Sie ist gleichzeitig Teil der Lösung und Teil des Problems“, so Pichl. Er sehe das konkret in den Strukturen und dem Verhältnis zwischen Sozialarbeitenden und Klient:innen, die häufig asymmetrisch und damit ungleich seien. Um dies zu verändern, bedürfe es wiederum demokratischerer Strukturen und Verhältnisse in der Gesellschaft, die eine Demokratisierung und Verbesserung der Teilhabechancen begünstigten.

Zum Ende der Veranstaltung im Wiesbadener Rathaus diskutierten die Teilnehmenden mit den Wissenschaftler:innen über mögliche Voraussetzungen von mehr Demokratie und deren Förderung. Immer wieder kamen die Anwesenden auf den sozialen Raum der Schule zurück, in dem häufig wenig Platz sei für Demokratie. Hier böte sich – gerade im Ganztag – die Möglichkeit, Demokratie zu lernen und zu praktizieren, so Çiçek.

Zur Reihe „Wissenschaft findet Stadt“

In der aktuellen Reihe von „Wissenschaft findet Stadt“ wird das Thema Demokratie von Forschenden der Wiesbadener Hochschulen beleuchtet. Am 13. November lädt das Netzwerk der Wissenschaft zum letzten Vortrag „Zum Verhältnis von Demokratie und Polizei“ ein. Prof. Dr. Georgios Terizakis von der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit gibt darin Einblicke aus dem Wissenschaftsalltag eines Politologen an einer Polizeihochschule.