WOHN-VISIONEN #12

© IMPACT RheinMain

© Michael May

© VITOS Wiesbaden

Am Dienstag, 29.03.2022, fand die zwölfte Ausgabe der WOHN-VISIONEN des Transferprojekts IMPACT RheinMain statt. In der Online-Veranstaltung mit dem Titel „Ein Leben in oder neben Gesellschaft? Erfahrungen und Wohn-Visionen von Psychiatrie- und Krisenerfahrenen“ diskutierten die Teilnehmer insbesondere über die Frage der Selbstbestimmung im Wohnen.

Deinstitutionalisierung der Psychiatrie

Moderiert wurde der Abend von Vera Dangel. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule RheinMain gab zur Einführung einen kurzen historischen Abriss der Reformentwicklung im Arbeitsfeld Psychiatrie. Ab dem Jahr 1975 habe die Kritik und Skandalisierung an den großen Aufbewahrungsanstalten abseits von Gesellschaft begonnen. Die Kritik mündete in einen Reformprozess, der bis heute anhält. Einrichtungen waren früher ausschließlich auf Kontrolle und Disziplinierung von abweichendem Verhalten ausgerichtet. Die Reformbewegung gewann ab 1980 an Fahrt. Sie führte zur Deinstitutionalisierung der Psychiatrie hin zur Gemeindepsychiatrie. Geleitet war die Bewegung vom Anspruch der Reintegration der Menschen in die Gemeinde. Viele sehen diese Bewegung bis heute als nicht abgeschlossen an. Eine Sichtweise ist, dass die Integrationsbemühungen der Psychiatrie eher zu einer „Psychiatriegemeinde“ geführt hätten: Wohn- und Unterstützungsmöglichkeiten seien zwar nun in der Gemeinde angesiedelt, gleichzeitig aber führten die Angebote zu einer Absonderung. Es bleibt also für eine gelungene Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Psychiatrieerfahrungen weiterhin viel zu tun.

Corona-Pandemie beeinträchtigt Selbsthilfe

Es folgte ein Erfahrungsbericht eines psychiatrie- und krisenerfahrenen Menschen, der sich seit mehreren Jahren für die Rechte der Psychiatrienutzenden einsetzt. In der anschließenden Diskussion wurden bestehende Strukturen und Umsetzungen von Angeboten für Psychiatrienutzende kritisch beleuchtet und gelingende wie problematische Erfahrungen beschrieben. Hierbei wurde u. a. deutlich, dass durch die Corona-Pandemie insbesondere die Selbsthilfe stark gelitten hat und so auch die Grundlage der Kritik an den psychiatrischen Rahmenbedingungen vorübergehend ausgesetzt zu sein scheint.

Die zweite Hälfte der Veranstaltung war innovativen Ansätzen gewidmet, die Menschen mit Unterstützungsbedarf mehr Selbstbestimmung ermöglichen sollen. Prof. Dr. Michael May (Hochschule RheinMain) stellte das Genossenschaftsmodell vor, in dem Psychiatrieerfahrene von den genossenschaftlichen Prinzipien profitieren und so einer Stigmatisierung durch die Diagnose entgegenwirken können, da hier „gleiche Rechte für alle“ gelten.

Home Treatment als Alternative

Für die psychiatrische Ambulanz VITOS Wiesbaden stellte Pia-Kathrin Neidlinger die seit 2021 angebotene „Behandlung zu Hause bei Vitos Rheingau“ vor. Menschen in Krisensituationen, die ansonsten stationär aufgenommen werden müssten, können zu Hause von einem mobilen Team betreut werden, das ein bis zwei Mal am Tag zum Hausbesuch kommt. Der Erfahrungsbericht einer ehemaligen Patientin bestätigte, dass dieses Angebot – auch als Home Treatment bekannt – insbesondere für Menschen geeignet ist, die zum Beispiel Sorgeaufgaben nachgehen. Allerdings fehle in dieser Konstellation noch der Austausch mit Mitpatienten.

Magdalena Ramb vom Mainzer „Wohnprojekt Layenhof – Verein für gemeinschaftliches Wohnen e. V.“ stellte ihr Angebot einer Integration der Nachbarschaft als zusätzliches Element zur professionellen Betreuung vor. Das Wohnprojekt besteht seit 1995 und hat sich im Laufe der Jahre an die sich verändernden Bedarfe angepasst. Um mehr solcher Projekte zu ermöglichen, bräuchte es verbindliche Vereinbarungen für bestimmte Personengruppen. Hier sei die Politik gefragt.

Zum Abschluss hatten alle Zuhörer:innen noch die Gelegenheit, mit den Expert:innen in kleiner Runde – in Breakout-Sessions – in den Austausch zu treten.