AUFS SPIEL SETZEN: NEUE WEGE DER PRÄVENTION UND HILFE BEI GEWALT IN PAARBEZIEHUNGEN IM LÄNDLICHEN RAUM (AUSWEGE).
Auf einen Blick
Forschungsprojekt |
Aufs Spiel setzen: Neue Wege der Prävention und Hilfe bei Gewalt in Paarbeziehungen im ländlichen Raum (AusWege) |
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Fachbereich |
Sozialwesen in Kooperation mit Design Informatik Medien (DCSM) |
Leitung |
Prof. Dr. Regina-Maria Dackweiler, Prof. Dr. Reinhild Schäfer Teilprojekt DCSM: Prof. Dr. Ulrike Spierling, Prof. Stephan Schwarz |
Beteiligte |
Holly, Mascha M.A. Teilprojekt DCSM: Lorena Müller M.A. |
Ansprechpartner Forschungsförderung |
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Projektpartner*innen |
Binia Ehrenhart-Rosenberger, Angela Spangenberg, Büro für Gleichstellungsfragen und Frauenangelegenheiten, Bad Schwalbach Ilse Gießer, Caritasverband Wiesbaden-Rheingau-Taunus e.V., Leiterin Frauenhaus, Bad Schwalbach Julia Schäfer, Landeskoordinierungsstelle gegen Häusliche Gewalt, Hessisches Ministerium der Justiz, Wiesbaden Rudolf Worschech, Chefredakteur des Gemeinschaftswerks der evangelischen Publizistik/epd Film, Frankfurt Dirk Springenberg, Waldritter e.V., Rosbach |
Fördermittelgeber |
Bundesministerium für Bildung und Forschung (FH-Sozial 2018) |
Laufzeit |
01.08.2020- 31.07.2024 |
Website(s) |
www.auswege-online.de |
Projektbeschreibung
Das Forschungsprojekt setzt an am sozialen und gesellschaftlichen Problem der physischen, psychischen und sexuellen Gewalt in Paarbeziehungen (GiP). Prävalenzstudien verdeutlichen, dass hiervon überwiegend Frauen betroffen sind: Rund 25 Prozent der Frauen im Alter zwischen 16 bis 85 Jahren erleben mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexuelle Partnerschaftsgewalt. Zugleich verzeichnen Zahlen des Bundeskriminalamts, dass jeden Tag in Deutschland ein Mann versucht, seine (Ex-)Partnerin zu töten; an jedem dritten Tag gelingt dies. Insgesamt wurden in 2020 mehr als 148.000 polizeilich bekannt gewordene Fälle partnerschaftlicher Gewalt erfasst.
Aufgrund der noch höheren Tabuisierung von Partnerschaftsgewalt in ländlichen Sozialräumen gelangen hier fehlende Präventionsmaßnahmen und unzureichende Beratungs- und Interventionseinrichtungen bislang kaum in den Fokus der Aufmerksamkeit. Mit der Ratifizierung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt („Istanbul Konvention“) ist die Bundesrepublik Deutschland jedoch nun die Verpflichtung eingegangen, insbesondere auch im ländlichen Raum bestehende Schutzlücken zu schließen und Maßnahmen zu ergreifen.
GiP hat gravierende Auswirkungen auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit der Betroffenen und deren Kindern sowie auf familiäre und soziale Beziehungen. Als Folge entsteht auch hier ein langwährender Verlust an Lebensqualität für alle Involvierten und für die Gemeinschaft als Ganze. Studien belegen zudem, dass GiP hohe ökonomische Kosten für die Gesellschaft verursacht: Für die Bundesrepublik werden die direkten Kosten, etwa bei Polizei, Justiz, Sozialer Arbeit und im Gesundheitswesen, auf jährlich 3,8 Milliarden Euro geschätzt.
Primärpräventive Ansätze, welche die Zivilgesellschaft adressieren, bilden entsprechend der „Istanbul Konvention“ einen zentralen Baustein, um häusliche Gewalt zu verhindern, Eskalationsstufen zu minimieren und so die Gewaltspirale zu unterbrechen, indem offen über Partnerschaftsgewalt gesprochen und aufgeklärt sowie ein Bewusstseinswandel initiiert wird. Dies könnte nicht nur den Opfern von Partnerschaftsgewalt zu mehr Lebensqualität und sozialer Teilhabe verhelfen, sondern auch dazu beitragen, gesellschaftliche Folgekosten und bestehende soziale Disparitäten des Wohlergehens von Bewohner_innen des ländlichen gegenüber jenen des städtischen Raums angesichts eines lückenhaften Hilfe- und Unterstützungssystems zu reduzieren.
Vor diesem Hintergrund verfolgt das interdisziplinär arbeitende Forschungsprojekt - Sozial(arbeits)wissenschaft, Informatik/Mediendesign und Medienpädagogik - das Ziel, in enger Kooperation mit vier Praxispartner_innen, zwei davon aus dem Rheingau-Taunus-Kreis – Büro für Gleichstellungsfragen und Frauenangelegenheiten sowie Caritasverband Wiesbaden-Rheingau-Taunus e.V., Frauenhaus und Beratungs- und Interventionsstelle in Bad Schwalbach, zudem das Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik epd Film in Frankfurt und die Hessische Landeskoordinierungsstelle gegen häusliche Gewalt in Wiesbaden - innovative Wege der Primärprävention von GiP für diese ländlich geprägte Modellregion zu entwickeln, zu erproben und zu evaluieren. Die neu zu entwickelnden Ansätze sollen dazu verhelfen, GiP zu enttabuisieren und die in der Modellregion lebenden Menschen aller Altersgruppen für die Problematik zu sensibilisieren. Das Forschungsprojekt orientiert sich hierbei an den Vorgaben der „Istanbul Konvention“, Maßnahmen zur Förderung einer Mentalitäts- und Verhaltensänderung der Bevölkerung als Voraussetzung aller weiteren Präventionsstrategien zu ergreifen. Daher sucht das Projekt nach Ansätzen und Methoden, die „Herz und Verstand der Menschen“ erreichen und sie motivieren und befähigen, GiP zu erkennen, sich gegen sie auszusprechen und die Opfer - aus der Nachbarschaft, aus dem Freundes- und Kollegenkreis oder aus der Verwandtschaft - nach Kräften zu unterstützen.
Im Einzelnen zählen zu den verfolgten Ansätzen erstens eine breite, mit den Praxisparter_innen zu entwickelnde multimediale und -dimensionale sowie differenzsensible mehrjährige Öffentlichkeitskampagne in der ländlichen Modellregion Rheingau-Taunus-Kreis mit dem Ziel, zur Bewusstseinsbildung und Aktivierung der Zivilgesellschaft beizutragen. Zu der Kampagne gehören Aktionstage an institutionalisierten Terminen (z.B. Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen), Informationsbroschüren zur Berichterstattung über GiP für Journalist_innen, Infomaterial für Unternehmen, Infoflyer für Arztpraxen, Postkartenaktionen, Filmreihen, Aufführungen eines Theaterstücks, Ausstellungen, Lesungen in Stadtbüchereien bzw. Buchhandlungen und zum Abschluss eine „Zukunftswerkstatt“. Die Veranstaltungen und Aktionen werden mittels teilnehmender Beobachtung sowie mündlicher und schriftlicher Befragung evaluiert.
Zweitens werden im Sinne von „Edutainment“ (game-based Learning) „Serious Games“ zu GiP, d.h. prosoziale, interaktive digitale Spiele, entwickelt und im Rahmen von Schulprojekttagen mit Jugendlichen sowie mit Ehrenamtlichen der Modellregion im Kontext einer Qualifizierung zu GiP erprobt und ebenfalls mittels teilnehmender Beobachtung sowie mündlicher und schriftlicher Befragung evaluiert. Erprobung und Evaluation der Serious Games durch die Zielgruppen bildet den einen, die Durchführung einer „Zukunftswerkstatt“ als Abschluss der mehrjährigen Öffentlichkeitskampagne den zweiten zentralen Meilenstein des Projekts.
Das Projekt ist in mehreren Hinsichten innovativ: Bisherige Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit zu GiP, etwa der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten und örtlichen Einrichtungen des Gewaltschutzes verfügen zumeist über eingeschränkte Ressourcen bei gleichzeitig hoher Arbeitsbelastung, die ihnen nur punktuelle Aktionen erlauben, deren Wirkungen bei den Adressat:innen bislang kaum erhoben werden konnten. Demgegenüber nimmt das Projekt nicht nur den ländlichen Raum in den Blick, sondern verfolgt neue Wege der Primärprävention: Anstelle von punktuellen Aktivitäten wird eine mehrjährige Öffentlichkeitskampagne durchgeführt, die unterschiedlichste Gruppen direkt einbezieht, sowie Game based Learning (Serious Games) zu GiP, das Jugendliche und Erwachsene interaktiv einbezieht. Die Evaluationen dieser innovativen Wege erlauben es, Erkenntnisse zu gewinnen, ob und wie diese Ansätze von den adressierten Zielgruppen angenommen werden und welche Wirkungen sie den gewählten Wegen zumessen. Die zu gewinnenden Erkenntnisse kommen nicht nur (potentiell) Gewaltbetroffenen, ihren Familien und dem sozialen Umfeld zu Gute, sondern auch den Einrichtungen des Gewaltschutzes bei ihren präventiven Aufgaben, sowohl in der Modellregion als auch - im Rahmen eines möglichen Transfers - bundesweit. Darüber hinaus dienen die zu erprobenden Wege der Primärprävention im ländlichen Raum der Gesellschaft als Ganzer, sollten jene sich im Rahmen der Evaluationen als sinnvoll erweisen dazu beizutragen, Partnerschaftsgewalt zu verhindern, zu reduzieren und den Kreislauf der Gewalt zu unterbrechen, also nachhaltige Auswege aus GiP zu weisen.
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