„Wir müssen Nachhaltigkeit so wichtig nehmen wie Profitabilität“
Prof. Dr. Karin Gräslund ist Expertin für Digital und Sustainable Finance. Sie lehrt und forscht im Fachbereich Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain (HSRM) und setzt sich auch außerhalb der Hochschule für eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft ein. Im Interview erklärt sie, warum digitale Technologien trotz ihres klimaschädlichen Rufs große Chancen für eine nachhaltige Zukunft bedeuten können.
Zu den Kernthemen, mit denen Sie sich in Forschung und Lehre an der HSRM beschäftigen, gehört die digitale Transformation des Finanzwesens. Was ist darunter zu verstehen und inwiefern zahlt es auf die nachhaltige Entwicklung unserer Wirtschaft und Gesellschaft ein?
Ich möchte in drei Schritten antworten:
1. Digitalisierung des Finanzwesens
Das betriebliche Finanzwesen und auch die Finanzdienstleister sind im Grunde schon seit mehr als 50 Jahren digital, das heißt maßgeblich durch Soft- und Hardware unterstützt. Zu Beginn wurden die Fachanwendungen oft noch auf Großrechnern betrieben, die sich mit der industriellen Entwicklung immer stärker fachlich übergreifend und vernetzt zu sogenannten Enterprise-Ressource-Management-Systemen entwickelten. Mit dem Einsatz sogenannter Netzwerkeffekte, also der Verbreitung des Zugangs und notwendigen Anwenderwissens sowie durch fortgeschrittene Internettechnologie, wurde stärker analysiert, bis Daten und daraus zielgruppenorientiert aufbereitete Informationen zum neuen „Öl“ oder „Gold“ der Wirtschaft erklärt wurden.
2. Digitale Transformation des Finanzwesens
Eine besondere Beschleunigung erfuhr die Digitalisierung im Finanzwesen mit der automatisierten intelligenten Aufbereitung dieser Informationen, zunächst mit Hilfe von Machine Learning und in den letzten drei Jahren insbesondere durch allgemeine Künstliche-Intelligenz-Modelle, die dabei helfen, bislang nicht zu bewältigende Analysevolumina sinnvoll zu bearbeiten. Auch andere Basistechnologien, wie die Blockchain und mit deren Hilfe umgesetzte sogenannte Smart Contracts, lösten zuvor große Probleme dabei, den Eigentümerwechsel finanzieller und datentechnischer Wertüberträger sowie dessen Echtheit und Originalität zu verifizieren und auditierbar zu dokumentieren.
3. Digitale Finance und Nachhaltigkeit
Die dafür benötigten Rechenzentren und innovativen Technologien verwenden allerdings viele seltene Ressourcen und erfordern hohe Energievolumina, was sie zunächst eher sehr klimaschädlich, also wenig nachhaltig wirken lässt. Ihre positiven Effekte wie die Demokratisierung von Wissen, erhöhte Transparenz und das Erschweren von Korruption, der global erleichterte Zugang zu Wissen und damit die Vereinfachung von Bildung und Chancen werden derzeit leider noch nicht genauso exakt erfasst wie deren finanzielle Kosten- und Aufwandsseite. Sustainable Finance kann hier einen Beitrag zur Besserung leisten.
Ganz allgemein gesprochen – inwiefern wirken sich Nachhaltigkeitsaspekte auf Ihre Tätigkeiten in Forschung und Lehre an der HSRM aus? Welche Projekte gab es bereits, was ist für die Zukunft geplant?
An vorheriger Situationsbeschreibung setze ich mit meiner Lehre und Forschung an und widme mich gerade noch intensiver der adäquaten betrieblichen Dokumentation, dem richtigen und transparenten Bericht sowie vor allem der digitalen Unterstützung der Internalisierung negativer wie auch positiver Nachhaltigkeitseffekte in den Unternehmen, bei den Finanzdienstleistern und bei Aufsichtsführenden.
Was möchten Sie Ihren Studierenden in Bezug auf Nachhaltigkeit in ihr zukünftiges Berufsleben mitgeben? Wie hilft Ihre Tätigkeit den Studierenden dabei, nach ihrem Abschluss an der HSRM nachhaltigkeitsbewusste Arbeitsstellen zu identifizieren?
Um planetare Grenzen nicht zu überschreiten, müssen wir mindestens mittelfristig Nachhaltigkeit genauso wichtig nehmen, wie wir es derzeit mit der Profitabilität tun: Ich integriere daher gerade bereits die technologischen Aspekte der Nachhaltigkeit in alle meine digitalen Finanzfächer und thematisiere in meinem dezidierten Kurs „Digital (&) Sustainable Finance“ in ersten Ansätzen auch die dafür notwendigen Änderungen in Informationsmanagement, Unternehmenskultur und Mindset angehender Finance Professionals. Das stiftet hoffentlich dem so wichtigen Beruf des technikaffinen Finance Professionals Sinn und auch Maß für die zukunftsfähigen Arbeitgeber.
Außerhalb Ihrer Tätigkeit an der HSRM sind Sie Ende 2020 an die Spitze des Finanz- und später auch Nachhaltigkeitsvorstands der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. berufen worden und haben damit die Frauenquote im Vorstand erhöht. Inwiefern spielt aus Ihrer Perspektive die Gleichstellung der Geschlechter eine Rolle für die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft?
Natürlich ist es wichtig, dass auch Frauen „Schalthebel der Macht“ bedienen, um neue Perspektiven in Organisationen und die Gesellschaft einzubringen und vor allem durchzusetzen. Leider ist die Geschichte unserer zunächst recht hohen weiblichen DSAG-Vorstandsquote nach nur zweieinhalb Jahren mit Weggang von Vorstandsvizin Daniela Meisenheimer (übrigens einer Alumna des Fachbereichs Wiesbaden Business School) und meinem eigenen Ausscheiden schnell wieder zu Ende gegangen. Der Wandel eines einflussreichen, aber auch traditionell geprägten Vereins lässt sich leider nicht einfach „ernennen“; von uns ehemals drei Vorständinnen ist jedoch Kollegin Christine Grimm für Transformation und nun auch Nachhaltigkeit weiterhin in der Verantwortung.
Wieso liegt Ihnen das Thema Nachhaltigkeit am Herzen und was würden Sie sich zukünftig konkret für die nachhaltige Entwicklung unserer Hochschule wünschen?
Angesichts der aktuell multiplen Krisen versuche ich unter anderem aus meinen persönlichen Ängsten und Sorgen eine positive Kraft zu machen. Für mich erkenne ich die besondere Relevanz der Nachhaltigkeit, versuche mich auch persönlich noch nachhaltiger zu verhalten. Und auch beruflich sehe ich schon in der digitalen Transformation allein eine große persönliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderung, an deren Lösung ich mich gerne beteiligen möchte. Digitale Technologie ist ein Teil des Problems, aber auch der Lösung für mehr Nachhaltigkeit! Und die erforderliche Kraftanstrengung lohnt sich doppelt, für uns persönlich und auch für die zukunftsfähigen Arbeitgeber. An unserer Hochschule würde ich mir mehr interne Kooperation im Thema wünschen. Wie vielen Kolleg:innen gelingt es mir bislang häufiger, mit Externen zu kooperieren. Das darf sich gerne bessern und was ich kann, trage ich dazu gerne bei.