Klimagerechtigkeit gestalten für eine nachhaltige Entwicklung

Prof. Dr. Anja Kerle © Fotofabrik Stuttgart

Prof. Dr. Anja Kerle lehrt und forscht im Fachbereich Sozialwesen zu den Themen Klimagerechtigkeit, sozial-ökologische Transformation, Armut und Klassismus. Nicht nur im Rahmen der Professur „Nachhaltigkeit in der Sozialen Arbeit“, sondern auch außerhalb der Hochschule engagiert Anja Kerle sich für die soziale Dimension der Nachhaltigkeit. Im Interview beleuchtet Kerle, warum diese eng mit ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit verbunden ist.

Im Fachbereich Sozialwesen der Hochschule RheinMain (HSRM) haben Sie die Professur „Nachhaltigkeit in der Sozialen Arbeit“ übernommen. Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Professur und weshalb ist die soziale Dimension von Nachhaltigkeit so zentral?

Die Schwerpunkte meiner Professur liegen auf der Gestaltung von Nachhaltigkeit in verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit und auf der Weiterentwicklung einer sozial-ökologischen Soziale Arbeit. Die soziale Dimension ist deshalb so wichtig, weil der Abbau sozialer Ungleichheiten und die Gestaltung von Klimagerechtigkeit für eine nachhaltige Entwicklung essenziell sind. Darüber hinaus müssen ökologische Maßnahmen sozial gerecht sein und die besonderen Betroffenheiten marginalisierter Menschengruppen berücksichtigt werden. Letztlich sind die Ausbeutung und Zerstörung der Natur und die Ausbeutung und Benachteiligung von Menschen in den vorherrschenden ökonomischen Verhältnissen eng miteinander verwoben, sodass alle drei Dimensionen zusammengedacht werden müssen, um ein gutes Leben aller im Rahmen planetarer Grenzen zu ermöglichen.

Gibt es derzeit konkrete, nachhaltigkeitsbezogene Projekte in Ihrer Forschung/Lehre, über die Sie berichten können?  

In der Lehre beschäftige ich mich aktuell mit Studierenden im Rahmen eines zweisemestrigen Theorie-Praxis-Modules „Addressing Bodies of Water“ mit den Verwebungen sozialer und ökologischer Fragestellungen im Anthropozän am Beispiel Wasser. Dabei entstehen verschiedene Fallstudien, zum Beispiel zu den Zugängen zu Trinkwasser und Toiletten im öffentlichen Raum, zur Bedeutung und den Nutzungsmöglichkeiten des Rheinufers für unterschiedliche Menschen, etc.

Im Sommersemester veranstalte ich außerdem ein interdisziplinäres Praxisprojekt in Kooperation mit dem Studiengang Umwelttechnik und dem Jugendnaturzeltplatz in Wiesbaden. Ziel dabei ist, Konzepte aus der Perspektive der jeweiligen Disziplin zu entwickeln, wie im Rahmen der Jugendarbeit auf dem Naturzeltplatz ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit gefördert und von den Jugendgruppen gelebt werden kann. Darüber hinaus widme ich mich im Sommersemester im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes näher dem Thema Klimagefühle und climate anxiety bei Studierenden an der HSRM und bin schon gespannt auf die Ergebnisse.

Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG) beinhalten Aspekte wie die Bekämpfung von Armut, Hunger und Ungleichheiten, den Themenbereich Gesundheit und Wohlergehen sowie die Themenfelder Bildung, Geschlechtergleichheit und Menschenwürde. Inwiefern spiegeln sich diese Ziele in Ihrer Tätigkeit im Fachbereich Sozialwesen und darüber hinaus wider?

Ganz generell kann man sagen, dass zahlreiche der in den SDG angesprochenen Themen Kernthemen der Sozialen Arbeit darstellen und somit im Fachbereich Sozialwesen grundlegend verwurzelt sind. Im Rahmen meiner Lehrveranstaltungen thematisiere ich die genannten Aspekte und erarbeite mit den Studierenden, wie sich die Klimakrise auf soziale Ungleichheiten und damit verbunden zum Beispiel Geschlechterungleichheiten und Armut auswirkt und welche Transformationsmöglichkeiten bestehen. Zudem beschäftige ich mich wissenschaftlich mit Armut und Klassismus und den Fragen, wie eine klimagerechte Soziale Arbeit in diesem Bereich gestaltet werden könnte. Dabei beziehe ich mich nicht nur auf die SDG, sondern ergänzend auch auf intersektionale, ökofeministische und kapitalismuskritische Positionen. Darüber hinaus bin ich in der Arbeitsgruppe „Klimagerechtigkeit und sozialökologische Transformation in der Sozialen Arbeit“ der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) aktiv und engagiere mich gemeinsam mit Kolleg:innen auf fachpolitischer Ebene zu den genannten Themen.

Was würden Sie den Studierenden, die Sie in Ihrer Zeit an der HSRM begleiten, im Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung gerne mitgeben?

Die wissenschaftlichen Prognosen zur Zukunft des (Über-)Lebens auf unserem Planeten sind nicht rosig und zeigen eindrücklich, dass es so wie es ist nicht bleiben kann und wir dringend ins Handeln kommen müssen. Dabei dürfen wir es wagen, in großen Transformationen zu denken und Utopien einer nachhaltigeren, gerechteren Gesellschaft zu entwickeln! Sich für Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Klimagerechtigkeit zu engagieren muss keinen Verzicht oder Verlust bedeuten, sondern kann viel Freude und Spaß mit sich bringen, weil spielerisch viel Neues entdeckt und erprobt werden kann. Solche Veränderungen sind nicht nur persönlich bereichernd, sondern auch für die Soziale Arbeit als Profession und Disziplin notwendig, um innovative Ansätze in Zeiten multipler sozialer und ökologischer Krisen zu entwickeln.

Was wünschen Sie sich für eine nachhaltige Zukunft an der HSRM?

Ich wünsche mir, dass die Hochschule sich als Ort versteht, an dem sozial-ökologische Transformationen für alle erlebbar sind. Dass es klassismussensible, queerfeministische und anti-rassistische Räume gibt, in denen solidarische Beziehungen zwischen Menschen und Mensch-Natur-Beziehungen gelebt werden können. Ich wünsche mir, dass die Hochschule offen ist für zivilgesellschaftliche Initiativen, die Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit fördern wollen. Ich wünsche mir kritische, begeisterungsfähige und engagierte Student:innen, die Freude und Spaß an Nachhaltigkeitsthemen haben. Und wenn wir schon beim Wünschen sind – ich wünsche mir ab und zu mal veganen Kuchen in der Mensa – neben den leckeren Gerichten, die es bereits schon gibt.