Kurzinterview mit Prof. Dr. Arzu Çiçek
Zum 1. Oktober 2023 wurde Frau Prof. Dr. Arzu Çiçek auf die Professur „Soziale Arbeit und Migration“ an den Fachbereich Sozialwesen der Hochschule RheinMain (HSRM) berufen. Ihr Germanistik- und Soziologiestudium an den Universitäten Paderborn und Wuppertal schloss sie 2010 mit einem Staatsexamen ab. Bis 2014 war sie Promotionsstipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung im Rahmen des Dissertationsprojekts „Vom Unbehagen an der Zugehörigkeit. Eine migrationspädagogische Derridalektüre“. Es folgte im Jahr 2018 eine Promotion zur Frage des gesellschaftlich bedingten Umgangs mit Migration an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Zwischen 2016 und 2020 war Prof. Dr. Çiçek wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Geschlecht und Diversität an der Bergischen Universität Wuppertal, von 2020 bis 2021 vertrat sie anschließend die Professur „Migration und Bildung“ an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Darauf folgte eine einjährige Tätigkeit als Antidiskriminierungsbeauftragte der Stadt Wuppertal. Vor ihrem Wechsel an die HSRM war Prof. Dr. Çiçek zuletzt erneut an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg beschäftigt, wo sie die Vertretung der Professur „Sozialpädagogik mit dem Schwerpunkt Diversity Education“ übernahm.
Welcher Aspekt fasziniert Sie an Ihrer Forschung am meisten?
Ich beschäftige mich im Allgemeinen mit Fragen gesellschaftlich bedingter Ungleichheit und Diskriminierung. Für Menschen, die von solchen Bedingungen betroffen sind, bedeutet dies, oft leidvolle Erfahrungen zu machen und auf Barrieren zu treffen, die gesellschaftliche Teilhabe erschweren oder sogar unmöglich machen. Im Besonderen nehme ich in meiner Forschung Hervorbringungsmechanismen, Ausschlussstrukturen und Überlagerungen verschiedener Ungleichheitsverhältnisse in der Migrationsgesellschaft in den Blick. Dies ist ein Forschungsfeld, in dem ich weniger von Faszination sprechen würde. Es ist eher ein Feld der Beunruhigung. Wir denken heute, dass jeder Mensch laut Grundgesetz das gleiche Maß an Freiheit, Chancen und Demokratie genießen und in Würde behandelt werden sollte. Doch die aktuell stattfindende Infragestellung des Rechts auf Asyl sowie die pauschale Diffamierung von Schutzsuchenden zeigen, wie Fragen von Demokratie und Menschenrechten durch Skandalisierung von Migration eingeschränkt und neu verhandelt werden. Bestehende gesellschaftliche Verhältnisse kann man an solchen Werten messen. Und das macht auch jene Migrationsforschung, der ich mich verschrieben habe. Eine Migrationsforschung, die, wie die Soziale Arbeit, immer auch nach den Subjektivitäten in gesellschaftlichen Verhältnissen fragt.
Was macht für Sie gute Lehre aus?
Was ich eben zu meiner Forschungsperspektive angedeutet habe, ist auch die Grundlage meiner Lehre. Ich versuche hier einen Umgang mit Studierenden zu realisieren, der von respektvoller Begegnung und Dialog getragen ist. Für mich ist in diesem Sinne wichtig, das Interesse der Studierenden nicht nur für migrationsgesellschaftliche Fragen zu wecken, sondern es stets auch moderierend aufrechtzuerhalten. Etwa dadurch, dass Studierende in kritisch-reflektierenden Gesprächen einen Umgang mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen finden. Und dass sie damit konfrontiert werden, dass ihr Wissen, ihre Standpunkte oder Vorschläge von anderen in die Verantwortung genommen, infrage gestellt oder auch kritisiert werden können. Mir geht es in der Lehre also um zweierlei: Die Ausbildung einer verantwortlichen Subjektivität einerseits und andererseits, in thematischer wie in praktischer Hinsicht, um die Ausbildung einer an Diskursen, Daten, Modellen, Praktiken entsprechend geschulten verantwortlichen sozialen Professionalität.
Wie finden sie einen Ausgleich zur Arbeit?
Durch anregende, heitere, aber auch nachdenkliche Gespräche, geschmackvolles Essen, Joggen und, sehr wichtig, durch Zeit mit Familie und Freund:innen.