„Nachhaltigkeit ist eine Chance für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit“
Prof. Dr. Tobias Heußler ist Experte für Betriebswirtschaftslehre, Vertriebsmanagement und Mobilität. Im Fachbereich Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain (HSRM) sowie als Teil des interdisziplinären Forschungszentrums RITMO setzt er sich für nachhaltigere Geschäfts- und Mobilitätsmodelle ein. Im Interview erklärt er, weshalb Nachhaltigkeit als Chance für mehr Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu verstehen ist.
Im Fachbereich Wiesbaden Business School beschäftigen Sie sich unter anderem mit Vertriebsmanagement und Mobilität. Bitte erklären Sie, inwiefern Nachhaltigkeitsaspekte dabei eine Rolle spielen.
Nachhaltigkeitsaspekte sind in unserer Forschung und Lehre von substanzieller Bedeutung. Es ist mehr als spannend, Unternehmen und Gesellschaft auf dem holprigen Weg der sozial-ökologischen Transformation zu begleiten. In der heutigen Zeit ist es schlicht nicht möglich, Fortschritt und Wachstum – und tatsächlich auch Vertrieb – ohne Nachhaltigkeit zu denken. Denke ich selbst nicht daran, tun dies täglich meine Studierenden.
Nachhaltigkeit in der Vertriebsdisziplin ist vielschichtig. Wir sprechen über den Vertrieb nachhaltiger Produkte, deren Entwicklung mit Geschäftskund:innen oder die nachhaltige Organisation der eigenen Vertriebsarbeit. Hinzu kommen europäische Regelungen wie das EU-Lieferkettengesetz, die von Unternehmen transparentere Lieferketten und faire Handelspraktiken einfordern. Der oft propagierte Ansatz, die Verbraucher:innen in die Verantwortung zu nehmen und ihnen die Entscheidung zu überlassen, ein nachhaltiges oder günstiges Produkt zu kaufen, ist schlichtweg nicht praktikabel und auch sehr unfair.
Deshalb betrachten wir intensiv, wie Unternehmen mit diesen Herausforderungen umgehen. Ich versuche dabei, bewusst nüchtern mit dem so emotionalen Thema Nachhaltigkeit umzugehen. Für Unternehmer:innen stellt sich die Frage, welche Kosten in die Rentabilität ihres Geschäftsmodells einzubeziehen sind. Dabei entstehen Herausforderungen: Manche Geschäftsmodelle tragen sich schlicht nicht mehr, wenn sich Unternehmer:innen zu Ungunsten aktueller und zukünftiger Generationen bereichern. Alles rankt sich also um die Frage, wie die zu internalisierenden Kosten zu bemessen sind und wie Unternehmer:innen an der sozial-ökologischen Transformation beteiligt werden. Das gilt vor allem für diejenigen, die sich aus kurzfristig durchaus nachvollziehbaren Gründen für die umwelt- und gesellschaftsbelastende Strategie entschieden haben und sich ihrer Selbsthaftung entziehen. Kurzum, diejenigen, die schon heute zahlreich auf klimaschonende und umweltfreundliche Technologien setzen und massiv investieren, müssen gegenüber denjenigen, die dies nicht tun und laut schreiend auf der Suche nach Schuldigen sind, bessergestellt werden. Der Sorge, unter nationalstaatlichen Ungleichgewichten zu leiden, kann dahingehend mit Klimazöllen zielführend entgegengewirkt werden.
Auch bei der Mobilität und den ambitionierten CO2-Zielen ist die Betrachtung von Nachhaltigkeit essenziell. Politische Rahmenbedingungen wie das CO2-Reporting oder Förderprogramme für nachhaltige Mobilitätslösungen beeinflussen die Praktiken und Strategien von Unternehmen. Deutschland ist und bleibt ein von der Automobilindustrie geprägtes Land, was sich in der Anzahl von Dienstwagen und autofahrenden Pendler:innen widerspiegelt. Dies stellt Unternehmen vor immer größere Herausforderungen, weshalb der Schwerpunkt unserer Forschung vor allem auf diesen Aspekt ausgerichtet ist.
Ganz allgemein gesprochen – inwiefern wirkt sich die Dimension der Nachhaltigkeit auf Ihre Tätigkeiten in Forschung und Lehre an der HSRM aus? Welche Projekte betreuen Sie aktuell, was ist für die Zukunft geplant?
Um den Studierenden die praktische Relevanz des Themas zu vermitteln, laden wir regelmäßig Unternehmen ein, die Nachhaltigkeit in ihrer Unternehmens-DNA haben. Kürzlich waren das zum Beispiel Alnatura und Biokaiser. Es ist sehr beeindruckend, wie sich deren Geschäftsmodelle konsequent an der fairen intergenerationalen Ressourcenverteilung orientieren. Hier wird nicht weichgespült und nach der Politik geschrien, wenn die Marge nicht stimmt, sondern risikoreduzierend gewirtschaftet und bedacht gewachsen.
In meiner Forschung liegt der Projektfokus aktuell auf der Mobilität. Hier setze ich mich gemeinsam mit Lea Schwehn und Tim Euler mit nachhaltigen Mobilitätskonzepten auseinander. Wir unterstellen, dass sich Mobilitätsverhalten vor allem dann verändert, wenn sich die Rahmenbedingungen am Wohn- oder Arbeitsplatz verändern. Wir schielen hier natürlich eher zu den Unternehmen. Zudem sind wir davon überzeugt, dass die CO2-Ziele nicht durch die Verlagerung aller Verkehre auf Rad, ÖPNV und Bahn zu erreichen sind. Manche Wege sind zu lang oder nass für das Rad, der ÖPNV kommt in Peak-Zeiten heute schon an seinen Grenzen. Wir müssen akzeptieren – auch wenn mir das persönlich schwerfällt –, dass das Auto immer noch eine zentrale Rolle spielt. Es geht deshalb auch darum, die Nutzung des Autos effizienter zu machen, die Flotte zu elektrifizieren und das Auto sinnvoll in unsere Energieversorgung einzubinden. Genau hier setzen unserer Projekte an. Wir zeigen auf, dass dieses multimodalere Angebot einen Verzicht auf das Auto einfacher macht und sogar die wahrgenommene Lebensqualität der Mitarbeitenden verbessert. Unsere Projekte zu Mobilitätsbudgets (MoBudget) und Mitfahrplattformen (SMILE) zielen auf die effizientere Nutzung von Autos ab. Egal, ob durch Mobilitätsbudgets der Zugang zu anderen Verkehrsträgern oder On-Demand-Verkehren vereinfacht und dadurch die PKW-Nutzung reduziert wird oder durch Mitfahrplattformen die einzelne Fahrt effizienter wird – das Ziel ist es, den CO2-Ausstoß des PKWs zu reduzieren.
Was möchten Sie Ihren Studierenden in Bezug auf Nachhaltigkeit in ihr zukünftiges Berufsleben mitgeben?
Ich möchte meinen Studierenden vermitteln, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine ethische Verpflichtung ist, sondern eine Chance für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Gute Unternehmer:innen berücksichtigen alle Kosten, die ihr Geschäftsmodell verursacht. Alles andere hat mit Marktwirtschaft nichts zu tun, sondern ist eine intergenerationale Subvention zu Gunsten schwacher Geschäftsmodelle. Es ist wichtig, dass meine Studierenden lernen, unternehmerische Entscheidungen unter Nachhaltigkeitsaspekten zu treffen. Ich ermutige sie, die Auswirkungen ihrer Arbeit auf die Umwelt und ihr Gegenüber zu reflektieren. Sie sollen die Bedeutung sozial-ökologischer Aspekte in der Unternehmensführung erkennen und aktiv ihren Beitrag zur Lösung globaler Herausforderungen leisten.
Ich weiß aber auch, dass ich in Sachen Nachhaltigkeit einiges von meinen Studierenden lernen kann. Die junge Generation ist sich des Klimawandels und anderer gesellschaftlicher Herausforderungen durchaus bewusst und bringt sich zunehmend in die öffentliche Diskussion ein. Dies spiegelt sich unter anderem in der Themenwahl von Abschlussarbeiten wider. Wir müssen sicherstellen, dass sie auch in der gesellschaftlichen Diskussion mehr Gehör finden, und nicht durch den überalterten Wähler:innenwillen in ihren Ambitionen ausgebremst werden. Es ist schon paradox, dass erfahrene Alte Entscheidungen für Menschen treffen, die noch deutlich länger Zeit auf dieser Welt verbringen werden.
Als Mitglied des 2024 gegründeten Forschungszentrums RITMO arbeiten Sie mit Kolleg:innen verschiedener Fachbereiche interdisziplinär an Fragen aus den Bereichen Verkehr, Logistik und Mobilität. Inwiefern kann diese Arbeit zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft beitragen, was sind Ihre Ziele?
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Forschungszentrum RITMO ermöglicht es uns, innovative Lösungen für die Herausforderungen in den Bereichen Verkehr, Logistik und Mobilität zu entwickeln. Unser Ziel ist es, nachhaltige Verkehrssysteme zu fördern, die nicht nur effizient, sondern auch umweltschonend und sozial gerecht sind. Wir wollen Konzepte entwickeln, die den Zugang zu Mobilität für alle verbessern und gleichzeitig den Ressourcenverbrauch reduzieren. Letztlich wollen wir mit unserer Forschung zur politischen Entscheidungsfindung und zur Entwicklung nachhaltiger Infrastrukturen beitragen, um die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Was wünschen Sie sich zukünftig für eine nachhaltige Entwicklung der HSRM?
Ich sehe die Hochschule RheinMain als eine Hochschule, die Nachhaltigkeit nicht als zusätzliches Lehrmodul versteht, sondern als Grundprinzip allen Handelns. Unser Ziel muss es sein, die Studierenden zu befähigen, Nachhaltigkeit als strategischen Wettbewerbsvorteil zu verstehen und umzusetzen. Dazu gehören entsprechende Studieninhalte, aber vor allem auch eine verstärkte Kooperation mit Unternehmen, die innovative Konzepte und nachhaltige Geschäftsmodelle verfolgen. Nachhaltiges Handeln muss greifbarer und damit begreifbarer werden. Ich glaube an eine Hochschule, die Nachhaltigkeit nicht nur im Geiste lebt, sondern als Antrieb des dynamischen und lebendigen Handelns begreift.