Nachhaltiges Bauen als Investition in die Zukunft
Prof. Dr.-Ing. Martin Zeumer hat im Fachbereich Architektur und Bauingenieurwesen eine interdisziplinäre Professur mit den Schwerpunkten Gebäudetechnologie und digitale Planung inne. An der Hochschule RheinMain (HSRM) sowie an Schulen und in der Erwachsenenbildung ist es ihm ein persönliches Anliegen, Menschen aller Altersgruppen für Nachhaltigkeitsthemen zu sensibilisieren. Wie er sich dafür einsetzt, interdisziplinär an Lösungen für komplexe Herausforderungen zu arbeiten, berichtet er im Interview.
Als Professor für Gebäudetechnologie und digitale Planung an der Hochschule RheinMain beschäftigen Sie sich mit dem ressourceneffizienten und nachhaltigen Betrieb von Gebäuden und Quartieren. Welche Aspekte spielen dabei eine Rolle und wie tragen diese zu einer nachhaltigen Entwicklung in ökologischer, ökonomischer und soziokultureller Hinsicht bei?
Für meine Professur sehe ich die nachhaltige Entwicklung als Leitlinie. Entsprechend vielfältig sind die Aspekte. Sie reichen von ökologischen Wirkungen über ökonomische Betrachtungen bis hin zu funktionalen und sozialen Qualitäten. Ökologisch geht es natürlich um den Kampf gegen den Klimawandel. Das Bauen hat ein immenses Potenzial, Umweltwirkungen zu reduzieren. Im Gebäudebestand fokussiert man noch maßgeblich die Betriebsenergie. Im Neubau haben wir aber schon ein Verhältnis von etwa 50/50 bei den Umweltwirkungen durch den Betrieb und durch die Baukonstruktion (also die Herstellung der Baustoffe, ihre Instandhaltung und -setzung sowie den Rückbau) der Gebäude erreicht. Und das Bauen kann, als einer von ganz wenigen Sektoren in Deutschland, sogar Treibhausgase binden. Eine Chance, die wir – zum Beispiel durch Holzbau – weiterentwickeln sollten.
Ökonomisch ist klar, dass Nachhaltigkeit viel Geld kosten wird. Das Bauen ist aber nicht nur „Kapitalverschlinger“. Es hat maßgeblichen Anteil an der Deutschen Wertschöpfung (2022 – weit gefasst – 19 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) und stellt auch weite Teile des deutschen Anlagevermögens dar. Nachhaltiges Bauen steht auch für dauerhaftes und nutzungsflexibles Bauen – mit einer stärkeren Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus als bisher. Es zielt damit auf langfristigen Werterhalt und schützt eigene Investitionen. ,. Damit Bauen werthaltig sein kann, muss es soziokulturell funktionieren. Neben der gestalterischen und städtebaulichen Qualität ist hier der „Mensch im Mittelpunkt“ ein wichtiges Stichwort. Das reicht von der Steigerung der Behaglichkeit in Innenräumen über das „Design for all“ bis hin zum schadstoffarmen Bauen.
Am meisten begeistert mich aber die prozessuale Betrachtung. Denn die notwendigen Technologien für mehr Nachhaltigkeit haben wir im Bauen schon weitgehend an Bord. Es geht vielmehr darum die Strukturen an die Entwicklung anzupassen. Ein großes Zukunftsthema ist dabei die strukturierte Bedarfsplanung. Es geht hier beispielhaft um die Herausarbeitung der Anforderungen der Nutzenden, aber auch um die Definition planerischer Standards wie das digitale Planen und Bauen mit BIM (Building Information Modelling). Im aktuellen Wahlpflichtfach „Entwicklung von Quartiersenergiekonzepten“ haben die Studierenden zum Beispiel aufgezeigt, dass durch gemeinschaftliches Handeln und individuell zugeschnittene, quartiersbezogene Versorgungstechnik in fünf exemplarischen Quartieren im Rhein-Main-Gebiet Emissionsminderungen von über 50 Prozent möglich sind – bei gleichzeitiger Steigerung der lokalen Wertschöpfung und der Betriebssicherheit. Und das ohne schwerwiegende Eingriffe in das Quartier während eines Umbaus und mit gleichzeitiger Qualitätssteigerung nach der Umsetzung. Ich hoffe, das macht den Studierenden Lust auf die aktive Mitgestaltung einer lebenswerten Zukunft.
Ihre Professur ist interdisziplinär angelegt und bezieht die Studiengänge Architektur und Immobilienmanagement ein. Inwiefern ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Forschung und Lehre wichtig, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln?
Für die Studierenden ist die Fähigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit ein höchst relevanter Soft-Skill, denn integrale Planung wird im Bauen mehr und mehr zum Standard werden. Dafür muss man lernen, dass Gebäude komplex sind und unterschiedliche Perspektiven erlauben. Interdisziplinäre Zusammenarbeit bedeutet maßgeblich die Erkennung und Anerkennung anderer Positionen und das fachsprachliche „Mitredenkönnen“. Genauso in der Forschung: Wir können Einzelfragen mit recht geringer Reichweite beantworten oder gemeinsam aus unterschiedlichen Blickwinkeln neue, zukunftsfähige Ansätze und Methoden entwickeln, so auch im übergeordneten Kontext nachhaltiger Entwicklung.
Was möchten Sie Ihren Studierenden in Bezug auf Nachhaltigkeit in ihr zukünftiges Berufsleben mitgeben?
In meinen bisherigen Modulen waren erste Rückmeldungen der Studierenden, dass nachhaltiges Bauen zu teuer und die Klimakrise sowieso nicht mehr aufzuhalten sei. Ich muss zugeben, da schluckt man erst mal. Wenn man die Themen dann gemeinsam tiefer beleuchtet, stellt man allerdings einige positive Aspekte fest: Nachhaltiges Bauen schafft Raum für eine lebenswerte Zukunft vieler Menschen. Hieran teilzuhaben kann beruflich erfüllend sein. Zudem ist der Umbau zu einem nachhaltigen Gebäudebestand eine langwierige Aufgabe, was Sicherheit in Bezug auf die berufliche Zukunft schafft. Dabei wird auch klar, dass unsere Lösungsansätze angemessen komplex sein müssen. Es bedarf eines generalistischen Verständnisses für gute Lösungen, gepaart mit interdisziplinärer Zusammenarbeit und gemeinschaftlichem Handeln. Dann können wir etwas bewirken.
Außerhalb Ihrer Tätigkeit an der HSRM vermitteln Sie in Seminaren und Lehrgängen Inhalte rund um nachhaltiges Bauen, Ressourcenschonung oder Kreislaufwirtschaft, um nur einige Aspekte zu nennen. Diese Bildungsangebote richten sich an verschiedenste Altersgruppen, von Schulen bis zur Erwachsenenbildung. Inwiefern unterscheidet sich die Bildung für nachhaltige Entwicklung in den unterschiedlichen Zielgruppen und wie wirken sich Ihre Erfahrungen außerhalb der HSRM auf Ihre Lehre hier aus?
Eine vielleicht für viele überraschende Erkenntnis meinerseits ist, dass sich Nachhaltigkeit in der Bildung bei unterschiedlichen Zielgruppen häufig gar nicht so stark unterscheidet. Wir sind als Menschen darauf ausgerichtet, komplexe Themen zu vereinfachen, um diese handhabbar zu machen. Klassisches Ergebnis ist dabei ein Lösungsansatz, der unterkomplex ist. Es gibt den schönen Satz: Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. Also gilt es, zunächst die Komplexität der Dinge und in der Folge die Vielzahl der Lösungsoptionen zu zeigen. Bei der Erwachsenenbildung muss man sich stärker auf eine unserem Professionendenken zugrundeliegende Betriebsblindheit ausrichten. Es gilt, Werkzeuge zu hinterfragen und die Chancen neuartiger Bewertungen zu erkennen. Dafür besteht bei der Erwachsenenbildung durchgängig ein hohes Interesse. Je jünger die Altersgruppe, desto mehr muss man um das Thema werben und Kontexte aufzeigen. Die sich ergebenden Chancen werden dann schnell als innovativ und spannend wahrgenommen.
Gemeinsam mit vielen anderen Hochschulangehörigen haben Sie am Auftaktworkshop zur Nachhaltigkeitsstrategie der HSRM teilgenommen. Wieso liegt Ihnen das Thema am Herzen und was würden Sie sich zukünftig konkret für die nachhaltige Entwicklung unserer Hochschule wünschen?
Nachhaltigkeit ist für mich ein intrinsisch motiviertes Thema, es ist Verantwortung und Selbstverständlichkeit. Aktuell bin ich in Elternteilzeit und gerade meine beiden Kinder – für mich hier stellvertretend für die neue Generation – geben mir persönlich einen zusätzlichen Motivationsschub. Ich weiß, für wen ich mich mit meinem Engagement einsetze. Für die Hochschule wünsche ich mir, dass diese Selbstverständlichkeit dort Einzug hält. Nachhaltigkeit sollte in allen Studiengängen Teil des Curriculums sein; zugleich fördern studiengangsübergreifende Vorlesungen gegenseitiges Verständnis und reduzieren potenziell den Lehrbedarf. So entsteht Platz in den Lehrplänen für besondere und zielgerichtete Angebote, beispielsweise studiengangsübergreifende Projekte. Diese Interaktion sollte auch in der Lehrentwicklung und der Forschung ausgebaut werden. Auch die Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Verwaltung sollte im Kontext der Nachhaltigkeit zielgerichteter werden. Spannend dabei zu bedenken ist: In der Wahrnehmung vieler erzeugt Nachhaltigkeit „nur“ ein Mehr an Aufgaben und Problemen. Das überfordert schnell. Ich wünsche uns allen, dass wir nicht nur dieses Mehr sehen, sondern auch die Chance und das Potenzial im Weglassen alter und teilweise überkommener Strukturen, Vorgehen und Lehrinhalte erkennen.
Seit einigen Monaten sind Sie Teil der Präsidialen Kommission Nachhaltigkeit (PKN) der HSRM. Was ist dort Ihre Aufgabe und welche Themen haben Sie in dieser Funktion bislang beschäftigt? Was sind aktuelle und zukünftige Ziele, die Sie in diesem Gremium verfolgen möchten?
Ich bin professoraler Vertreter des Fachbereichs Architektur und Bauingenieurwesen in der PKN. Die Aufgabe ist, gleichzeitig Sprachrohr des Fachbereichs als auch Mittler der Themen der PKN in den Fachbereich zu sein. Zuletzt haben wir den Entwicklungsprozess der Nachhaltigkeitsstrategie der HSRM begleitet, unterstützen das Nachhaltigkeitsbüro im Aufbau, diskutieren und entscheiden über die Vergabe des Nachhaltigkeitsfonds und versuchen auf allen Ebenen, die nachhaltige Entwicklung der HRSM voranzutreiben. Ich setze mich dabei dafür ein, dass die PKN ein aktives Element der Hochschulentwicklung wird. Die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) hat dazu das schöne Motto: „Nachhaltig ist das neue Normal“. Das wünsche ich mir für die HRSM auch.